2017-11-13 / Zu Menschen sprechen
Bevor wir in die Geschichte einsteigen, ist eine Vorbemerkung über die Themen „Manager“ und „Ressource Mensch“ angezeigt:
Ein Manager ist dafür da, das investierte Kapital zu mehren. Punkt. Wie er das macht, spielt keine Rolle.
Diese Aussage ist hart. Man könnte fragen, wie es mit Gesetzen und Regeln aussieht? Es sieht folgendermaßen aus: Wenn der Manager, um das Kapital zu mehren, Gesetze und Regeln großzügig auslegen muss, so darf er sich dabei halt nicht erwischen lassen. Vielleicht ist es um dieses Risikos willen, dass die Gehälter der Manager in keinem Verhältnis zu deren tatsächlichen Leistungen stehen? (Ebenso gründliche wie seriöse Analysen und Studien haben gezeigt: Das Management eines Unternehmens beeinflusst zu maximal 5 % den Erfolg des Unternehmens).
Für den Manager geht es um das Mehren des Kapitals. Das bedeutet, alles, was zum Unternehmen gehört, wird als Mittel zur Mehrung des Kapitals betrachtet. So auch die Menschen. Die Wahrnehmung des Managers ist also institutionell vorgegeben. Manager und Managerin sehen die Menschen, die sich zur „Belegschaft“ zusammenfügen, zwangsläufig (nur) als Ressource. Das ist hinlänglich bekannt und wird sich, aller wohlmeinenden Management-Literatur zum Trotz, im Rahmen des bestehenden Systems nicht ändern.
Und nun zur Geschichte:
Armin H., erfahren sowohl im Führen als auch im Managen, übernimmt den Posten des Geschäftsführers in einem mittelständischen Unternehmen in der Nähe des bayerischen Eggenfelden. Von den knapp 1.000 Mitarbeitern sind fast 600 als wenig ausgebildete Kräfte im Bereich der Produktion tätig. Die meisten kommen aus dem direkten regionalen Umfeld des Unternehmens und arbeiten zum Teil bereits in der zweiten Generation in diesem Unternehmen. Obwohl diese Menschen einen großen Teil der produktiven Leistung des Unternehmens erbringen, hat es sich im Lauf der Jahrzehnte bei den Führungskräften aller Ebenen eingebürgert, diese anonyme Masse mit einer latenten Verachtung im Ton zu erwähnen.
Diese Haltung honorieren die Mitarbeiter durch eine hohe Krankenquote und eine Menge Qualitäts-probleme. Sehr zum Verdruss der Leitung, die im Laufe der Jahre hilflos mit ansehen musste, wie die Zahlen immer schlechter wurden, bis die Lage schließlich unhaltbar wurde.
Armin H. steht also vor keiner leichten Aufgabe. Offensichtlich versagen die üblichen Management-Werkzeuge, insbesondere eine strengere Kontrolle und erhöhter Druck. Es bleibt dem Unternehmen nichts anderes übrig, als mit den Menschen zu arbeiten. Was übrigens auch bedeutet, endlich dem eigenen offiziellen Anspruch gerecht zu werden. Gemeint sind hier die beständig verkündeten Wertvorstellungen.
Günstigerweise starten zu dieser Zeit einige der wenigen engagierten Mitarbeiter, von denen laut Statistiken in Unternehmen weltweit nur deprimierende 15 % zu finden sind, eine Initiative. Diese hat zum Ziel, die Gestaltung wichtiger Prozesse in die Hände derjenigen Mitarbeiter zu geben, welche diese Prozesse täglich durchleben. Für Armin ist dies eine willkommene Chance. Entspricht doch diese Initiative seiner eigenen Philosophie und seinem Verständnis von Arbeit. Auf der anderen Seite stellt diese Initiative eine Revolution im Unternehmen dar, was natürlich weder die mutigen Kollegen noch Armin schreckt.
Es kommt der Moment, an dem die Initiative vorgestellt und die Menschen überzeugt werden müssen mitzumachen. Sie dürfen Veränderungen selbst anpacken. Armin lässt es sich nicht nehmen, für die Initiative Pate zu stehen. Bei den Vorstellungsrunden des Projekts, die vor kleinen Gruppen in mehreren Wellen stattfinden, ist er dabei. Er bietet den Anwesenden an, die Gelegenheit zu nutzen, mit ihm in den Dialog zu gehen. Alle Fragen sind erlaubt, Armin spricht entspannt, auf Augenhöhe mit den Menschen (wohl bemerkt: „Menschen“ und nicht „Mitarbeiter“). Diese Haltung zeigt Wirkung, denn die meisten Anwesenden kennen so etwas nicht von der Führungsriege des Unternehmens. Armin nimmt Impulse dankbar auf, beantwortet Fragen und verzichtet dabei auf „Politikerfloskeln“.
In Folge dieser Runden entsteht nach und nach im Unternehmen eine neue Dynamik. Diese ist die Grundlage für die Rückkehr zum Erfolg.
„Zu Menschen sprechen“ und nicht „zur Belegschaft“, „dem Personal“ oder sogar den „Mitarbeitern“ ist für eine Führungskraft leichter gesagt als getan. Es lohnt sich jedoch, diesen Weg zu gehen. Warum? Weil nur ein Mensch Sinn erleben kann, im Gegensatz zu einer Ressource, die das nicht kann. Ohne Sinn sind Engagement und Motivation reine Theorie.