2017-11-13 / Worauf es (dem anderen) wirklich ankommt.
Diese Geschichte kann in einem spannenden Buch* von Hugues Le Bret nachgelesen werden. Der Autor hatte das zweifelhafte Vergnügen im Januar 2008 bei der Société Général als Pressesprecher zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte die Bank den Milliardenbetrug eines (kleinen) Brokers, der beinahe nicht nur die Bank, sondern gar das ganze Weltwirtschaftssystem zum Einsturz gebracht hätte.
Selbstverständlich gab es nach dem Bekanntwerden der Schwierigkeiten eine Pressekonferenz. Die Vorstände, die Rede und Antwort stehen mussten, hatten sich gründlich und auf alles vorbereitet… Glaubten sie zumindest.
Nun stehen die Herren vor der „Meute“ der Journalisten. Und was ist das Einzige, woran diese interessiert sind? Dem Namen des Übeltäters! Sonst nichts (bzw. praktisch nichts). Die Bank will allerdings keine „Menschenjagd“ und rückt mit dem Namen nicht raus. Bis dahin kann man es ja noch verstehen. Was aber die Journalisten nicht verstehen: Der Vorstandsvorsitzende gibt nüchtern zu Protokoll, er kenne den „Rogue-Trader“ nicht, habe ihn nicht persönlich gesprochen und erachte das auch nicht für nötig. Wo der Mann sich derzeit aufhält ist ihm auch nicht bekannt.
Der Aufruhr unter den Journalisten ist immer schwieriger zu kontrollieren. Wie kann der Vorstands-vorsitzende den Mann, der nicht nur seine Bank, sondern vielleicht sogar die ganze Weltwirtschaft in die Katastrophe geführt hat, nicht wenigstens einmal selber sprechen wollen? Man glaubt ihm nicht.
Schnell urteilen die Journalisten: Da steckt mehr dahinter; der Trader ist nur ein Sündenbock, man sagt uns nicht die Wahrheit. Das Vertrauen ist zerstört.
Diese Begebenheit zeigt, wie wichtig es ist zu verstehen, was den anderen bewegt, worauf es ihm ankommt. Ohne dieses Verständnis wird unsere Kommunikation kaum ein Gefühl von Sinn beim Gegenüber erzeugen. Für die Journalisten ergab vieles von dem, was sie hörten, keinen Sinn. Außerdem waren alle auf eine Story aus. Und jede Story braucht einen Namen und ein Gesicht. Wird dieses Bedürfnis nicht befriedigt, ist die Stimmung nachhaltig gestört. Zeigt man nicht einmal Verständnis für diesen Bedarf nach einer Story, ist die Kommunikation zum Scheitern verurteil.
Der Pressesprecher musste eingreifen und die Konferenz sang- und klanglos zwangsbeenden. Die Vorstände hatten größte Mühe, sich hinter der Bühne von dem Schock der Konfrontation zu erholen. Der Imageschaden war enorm und hat dem Unternehmen möglicherweise genauso geschadet wie die eigentliche Straftat, um die es hier ging.
*„Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte: Ein Insiderbericht“