2017-11-13 / Durchblick und Durchbruch
Die Lagerarbeiter eines Logistikunternehmens sind das Herz des Unternehmens. Das ist allerdings ein schwacher Trost. Die 11 Stunden täglicher Arbeit und häufige Wochenendeinsätze, um Kunden-anforderungen dank letzter Kraftanstrengung zu erfüllen, machen einfach keinen Spaß. Vor allen Dingen dann nicht, wenn das Einkommen im Grunde eher einem Halbtagsjob als dieser Vollzeitmaloche entspricht. Um die durch den Vertrieb im Minutentakt hereingereichten Kundenaufträge zu versenden, wurde in den letzten Jahren mit zunehmendem Druck versucht – und mit schierer Kraft – das Tempo zu erhöhen. Natürlich gab es auch Versuche gezielter Verbesserung. Das Übliche: andere Regalsysteme, Laufwege verbessern, digitale Unterstützung… All diese Schritte waren wichtig.
Doch die Mitarbeiter glaubten nicht mehr daran, jemals einen normalen Arbeitsalltag zu haben. Überwiegend herrschte das Gefühl vor, im Nebel zu laufen und nicht zu verstehen, woher eigentlich das Problem kam und worin genau es bestand. Die Auswirkungen konnte jeder am eigenen Leib erfahren, nicht aber die Ursachen erkennen. Verdammt frustrierend!
Schließlich nahmen sich die Mitarbeiter Zeit, um zuallererst Transparenz in ihr Handeln zu bringen. Sie analysierten genau die Abläufe, die zum Erledigen eines Auftrags führten. Mit der Hilfe von etwas (einfacher) Mathematik und den Wundern einer Excel-Tabelle entstand schließlich eine Kennzahl, deren Hintergrund und Sinn jeder verstand. Mit dieser Kennzahl ausgestattet war es leicht, die Auswirkung von Verbesserungsversuchen innerhalb von wenigen Tagen genau zu erkennen.
Plötzlich ergaben die Verbesserungsansätze einen Sinn, den die Mitarbeiter bestens nachvollziehen konnten. Es machte sogar Spaß, sich per Try-and-Error einem Zustand der Perfektion anzunähern. Durch erste Erfolge beflügelt, entstand ein freundschaftlicher Wettbewerb mit dem Vertrieb. „Wer ist schneller? Ihr, mit dem Reinholen von Aufträgen, oder wir, mit dem Kommissionieren und Versenden?“
Am Ende hat das Lager den Wettbewerb gewonnen. Wochenendarbeit gehörte der Vergangenheit an, auch 11-Stunden-Schichten. In Zahlen ausgedrückt hat das Lager innerhalb eines Jahres die Leistung um über 100 % verbessert. Der Schlüssel dafür war das Gefühl von Sinn, den die Mitarbeiter bei ihren Bemühungen für Verbesserung erkennen konnten.
2017-11-13 / Zu Menschen sprechen
Bevor wir in die Geschichte einsteigen, ist eine Vorbemerkung über die Themen „Manager“ und „Ressource Mensch“ angezeigt:
Ein Manager ist dafür da, das investierte Kapital zu mehren. Punkt. Wie er das macht, spielt keine Rolle.
Diese Aussage ist hart. Man könnte fragen, wie es mit Gesetzen und Regeln aussieht? Es sieht folgendermaßen aus: Wenn der Manager, um das Kapital zu mehren, Gesetze und Regeln großzügig auslegen muss, so darf er sich dabei halt nicht erwischen lassen. Vielleicht ist es um dieses Risikos willen, dass die Gehälter der Manager in keinem Verhältnis zu deren tatsächlichen Leistungen stehen? (Ebenso gründliche wie seriöse Analysen und Studien haben gezeigt: Das Management eines Unternehmens beeinflusst zu maximal 5 % den Erfolg des Unternehmens).
Für den Manager geht es um das Mehren des Kapitals. Das bedeutet, alles, was zum Unternehmen gehört, wird als Mittel zur Mehrung des Kapitals betrachtet. So auch die Menschen. Die Wahrnehmung des Managers ist also institutionell vorgegeben. Manager und Managerin sehen die Menschen, die sich zur „Belegschaft“ zusammenfügen, zwangsläufig (nur) als Ressource. Das ist hinlänglich bekannt und wird sich, aller wohlmeinenden Management-Literatur zum Trotz, im Rahmen des bestehenden Systems nicht ändern.
Und nun zur Geschichte:
Armin H., erfahren sowohl im Führen als auch im Managen, übernimmt den Posten des Geschäftsführers in einem mittelständischen Unternehmen in der Nähe des bayerischen Eggenfelden. Von den knapp 1.000 Mitarbeitern sind fast 600 als wenig ausgebildete Kräfte im Bereich der Produktion tätig. Die meisten kommen aus dem direkten regionalen Umfeld des Unternehmens und arbeiten zum Teil bereits in der zweiten Generation in diesem Unternehmen. Obwohl diese Menschen einen großen Teil der produktiven Leistung des Unternehmens erbringen, hat es sich im Lauf der Jahrzehnte bei den Führungskräften aller Ebenen eingebürgert, diese anonyme Masse mit einer latenten Verachtung im Ton zu erwähnen.
Diese Haltung honorieren die Mitarbeiter durch eine hohe Krankenquote und eine Menge Qualitäts-probleme. Sehr zum Verdruss der Leitung, die im Laufe der Jahre hilflos mit ansehen musste, wie die Zahlen immer schlechter wurden, bis die Lage schließlich unhaltbar wurde.
Armin H. steht also vor keiner leichten Aufgabe. Offensichtlich versagen die üblichen Management-Werkzeuge, insbesondere eine strengere Kontrolle und erhöhter Druck. Es bleibt dem Unternehmen nichts anderes übrig, als mit den Menschen zu arbeiten. Was übrigens auch bedeutet, endlich dem eigenen offiziellen Anspruch gerecht zu werden. Gemeint sind hier die beständig verkündeten Wertvorstellungen.
Günstigerweise starten zu dieser Zeit einige der wenigen engagierten Mitarbeiter, von denen laut Statistiken in Unternehmen weltweit nur deprimierende 15 % zu finden sind, eine Initiative. Diese hat zum Ziel, die Gestaltung wichtiger Prozesse in die Hände derjenigen Mitarbeiter zu geben, welche diese Prozesse täglich durchleben. Für Armin ist dies eine willkommene Chance. Entspricht doch diese Initiative seiner eigenen Philosophie und seinem Verständnis von Arbeit. Auf der anderen Seite stellt diese Initiative eine Revolution im Unternehmen dar, was natürlich weder die mutigen Kollegen noch Armin schreckt.
Es kommt der Moment, an dem die Initiative vorgestellt und die Menschen überzeugt werden müssen mitzumachen. Sie dürfen Veränderungen selbst anpacken. Armin lässt es sich nicht nehmen, für die Initiative Pate zu stehen. Bei den Vorstellungsrunden des Projekts, die vor kleinen Gruppen in mehreren Wellen stattfinden, ist er dabei. Er bietet den Anwesenden an, die Gelegenheit zu nutzen, mit ihm in den Dialog zu gehen. Alle Fragen sind erlaubt, Armin spricht entspannt, auf Augenhöhe mit den Menschen (wohl bemerkt: „Menschen“ und nicht „Mitarbeiter“). Diese Haltung zeigt Wirkung, denn die meisten Anwesenden kennen so etwas nicht von der Führungsriege des Unternehmens. Armin nimmt Impulse dankbar auf, beantwortet Fragen und verzichtet dabei auf „Politikerfloskeln“.
In Folge dieser Runden entsteht nach und nach im Unternehmen eine neue Dynamik. Diese ist die Grundlage für die Rückkehr zum Erfolg.
„Zu Menschen sprechen“ und nicht „zur Belegschaft“, „dem Personal“ oder sogar den „Mitarbeitern“ ist für eine Führungskraft leichter gesagt als getan. Es lohnt sich jedoch, diesen Weg zu gehen. Warum? Weil nur ein Mensch Sinn erleben kann, im Gegensatz zu einer Ressource, die das nicht kann. Ohne Sinn sind Engagement und Motivation reine Theorie.
2017-11-13 / Worauf es (dem anderen) wirklich ankommt.
Diese Geschichte kann in einem spannenden Buch* von Hugues Le Bret nachgelesen werden. Der Autor hatte das zweifelhafte Vergnügen im Januar 2008 bei der Société Général als Pressesprecher zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte die Bank den Milliardenbetrug eines (kleinen) Brokers, der beinahe nicht nur die Bank, sondern gar das ganze Weltwirtschaftssystem zum Einsturz gebracht hätte.
Selbstverständlich gab es nach dem Bekanntwerden der Schwierigkeiten eine Pressekonferenz. Die Vorstände, die Rede und Antwort stehen mussten, hatten sich gründlich und auf alles vorbereitet… Glaubten sie zumindest.
Nun stehen die Herren vor der „Meute“ der Journalisten. Und was ist das Einzige, woran diese interessiert sind? Dem Namen des Übeltäters! Sonst nichts (bzw. praktisch nichts). Die Bank will allerdings keine „Menschenjagd“ und rückt mit dem Namen nicht raus. Bis dahin kann man es ja noch verstehen. Was aber die Journalisten nicht verstehen: Der Vorstandsvorsitzende gibt nüchtern zu Protokoll, er kenne den „Rogue-Trader“ nicht, habe ihn nicht persönlich gesprochen und erachte das auch nicht für nötig. Wo der Mann sich derzeit aufhält ist ihm auch nicht bekannt.
Der Aufruhr unter den Journalisten ist immer schwieriger zu kontrollieren. Wie kann der Vorstands-vorsitzende den Mann, der nicht nur seine Bank, sondern vielleicht sogar die ganze Weltwirtschaft in die Katastrophe geführt hat, nicht wenigstens einmal selber sprechen wollen? Man glaubt ihm nicht.
Schnell urteilen die Journalisten: Da steckt mehr dahinter; der Trader ist nur ein Sündenbock, man sagt uns nicht die Wahrheit. Das Vertrauen ist zerstört.
Diese Begebenheit zeigt, wie wichtig es ist zu verstehen, was den anderen bewegt, worauf es ihm ankommt. Ohne dieses Verständnis wird unsere Kommunikation kaum ein Gefühl von Sinn beim Gegenüber erzeugen. Für die Journalisten ergab vieles von dem, was sie hörten, keinen Sinn. Außerdem waren alle auf eine Story aus. Und jede Story braucht einen Namen und ein Gesicht. Wird dieses Bedürfnis nicht befriedigt, ist die Stimmung nachhaltig gestört. Zeigt man nicht einmal Verständnis für diesen Bedarf nach einer Story, ist die Kommunikation zum Scheitern verurteil.
Der Pressesprecher musste eingreifen und die Konferenz sang- und klanglos zwangsbeenden. Die Vorstände hatten größte Mühe, sich hinter der Bühne von dem Schock der Konfrontation zu erholen. Der Imageschaden war enorm und hat dem Unternehmen möglicherweise genauso geschadet wie die eigentliche Straftat, um die es hier ging.
*„Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte: Ein Insiderbericht“
2017-11-13 / Verfehlungen sind menschlich
Paul, der Vorstand des Unternehmens, befleißigt sich manchmal eines herben Tones gegenüber seinen Mitarbeitern. In einer Zeit, in der es dem Unternehmen nicht gut geht, werden die Mitarbeiter gebeten, auf Einkommen zu verzichten. Natürlich wird die Pille versüßt durch das Versprechen, diesen Verzicht zu honorieren, sobald es dem Unternehmen besser geht. Doch, wie es im Leben eben manchmal so geht, wird das Versprechen nicht eingelöst. Natürlich gibt es aus Pauls Sicht dafür eine Menge guter Gründe. Doch irgendwie kommen die bei den Mitarbeitern nicht an.
Irgendwann geht die, ohnehin schon schwächelnde, Laune ganz in den Keller. Das nervt Paul, der eigentlich Mitarbeiter braucht, die Gas geben und Verbesserungen anstoßen. Die Mitarbeiter aber denken nicht daran. Stattdessen fragen sie, immer eindringlicher, was nun mit der versprochenen Geste als Dank für den Einkommensverzicht sei?
Irgendwann platzt Paul der Kragen und mit unwirschem Ton weist er das verwöhnte Pack auf die Lage der Menschen hin, die in ihren Essensschalen nur ein paar Körner Reis finden.
Die Wirkung dieser Aussage können Sie sich sicher vorstellen. Sie wird innerhalb kürzester Zeit zur Legende und Paul ist definitiv unten durch. Seine Bemerkung wird als ebenso arrogant wie unangemessen empfunden. Damit hat der Vorstand seine Glaubwürdigkeit als Chef verspielt.
Doch es ist nie zu spät, den Kontakt zu Menschen wieder aufzunehmen. Man kann zumindest den Versuch unternehmen, einen Eindruck, den man vermittelt hat, wieder zu korrigieren.
Paul entscheidet sich schließlich, inzwischen sind viele Monate vergangen, vor seine Mitarbeiter zu treten und darüber zu sprechen, wie er sein eigenes Verhalten einschätzt und sie um Entschuldigung zu bitten. Dieser Entschluss erfordert von ihm sehr viel Mut und Einsicht über die Wirkung, die er auf andere gemacht hat. Er muss seinen Stolz überwinden.
Für die Mitarbeiter ist ein solcher Schritt völlig überraschend und führt sofort dazu, dass ihr Bild des Chefs sich ändert. Natürlich wollen alle sicher sein, dass es sich nicht um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Doch das Eis ist gebrochen. Und was noch wichtiger ist: Paul hat Stärke bewiesen. Denn nur wer wirklich stark ist, kann Verfehlungen und Schwächen eingestehen und dabei auch noch andere inspirieren.
2017-11-13 / Es kommt darauf an, wer es sagt.
Die Weihnachtsfeier sollte ein ganz besonderes Ereignis werden. Hermann, Unternehmer und Geschäftsführer in Personalunion, will seine Mitarbeiter auf einen neuen Kurs einschwören. Bisherige Versuche scheiterten an vielen Widerständen, warum und von wem genau ließ sich nicht erkennen.
„Wir müssen unsere Produktion nachhaltiger gestalten, die Rohstoffe, die wir einsetzen, dürfen die Umwelt nicht belasten, Gesundheit und Funktionalität dürfen nicht im Widerspruch stehen.“ Trotz dieser vernünftigen Forderung gelingt es nicht, die Mannschaft mit diesem Wunsch des Chefs zu versöhnen. Die Einwände sind vielfältig: die technischen Hürden sind zu hoch, die Preise werden nicht gezahlt, die Qualität leidet und und und…
Unser wohlmeinender Unternehmer zeichnet sich durch geringe rhetorische Fähigkeiten aus und ist obendrein ausgesprochen schüchtern. Das macht die Sache nicht leichter. Hermann beschließt, die Bastion der Widerständler im Sturm zu erobern, und lädt zur Weihnachtsfeier einen Redner ein, der landesweit durch Funk und Fernsehen wohlbekannt ist. So jemand kommt normalerweise nicht zu so einem kleinen Unternehmen. In dieser Situation nützen Hermanns gute Beziehungen. Der berühmte Redner sagt zu.
Doch Herrmann lässt sich dazu überreden, auch selbst etwas vorzubereiten. Eine Präsentation, in der er seine Vision (erstmalig) ausführlich erklärt. Die Vorbereitungen kann man fast schon schmerzhaft nennen, jedes Wort muss einzeln geübt werden. Als die Feier naht, ist der Auftritt noch immer sehr wackelig. Eine Glanzleistung wird es wohl nicht werden.
Schließlich ist es überstanden. Und was ist das Ergebnis? Was sagen die Mitarbeiter, für die das Ganze gedacht war? „Also, den Redner haben wir nicht so wirklich verstanden… Keine Ahnung, was der wollte. Aber was der Chef gesagt hat, das war gut. Und es war gut, dass er sich vor uns hingestellt hat und mal klar gesagt hat, was er will!“
Oft kommt es eben darauf an, wer etwas sagt, ganz gleich, wie ungeschickt im Ausdruck es auch sein mag.