Basiswissen

Sinn vermitteln

Um Sinn erfolgreich zu vermitteln, gibt es kein Rezept. Das liegt in der Natur der subjektiven Sache. Nichtsdestotrotz ist es nützlich, einige Punkte zu beachten, wenn es darum geht, wichtige oder heikle Themen zu kommunizieren. Erschöpfen diese Punkte das Problem? Sind es überhaupt die richtigen Punkte? Ich weiß es nicht. Vermutlich weiß es auch sonst niemand. Darum geht es auch nicht wirklich. Es geht darum, ein Bewusstsein zu entwickeln für Inhalt, Form und Botschaft der Kommunikation. 
Sieben Punkte, die helfen, das Gefühl von Sinn zu entwickeln.

Größer als wir selbst

Wenn es darum geht, Sinn zu vermitteln, ist der erste und wichtigste Punkt, den es zu beachten gibt, die Größe des Ziels. Dabei muss es um mehr als nur um den unmittelbaren, materiellen Nutzen für die Beteiligten gehen. Das Ziel muss größer sein. Was bedeutet das?

Ein konkretes Beispiel beschreibt diesen Punkt besser als abstrakte Erläuterungen. Stellen Sie sich vor, Sie sprechen mit Kollegen und Mitarbeitern über Qualitätsprobleme, die aufgrund von Unachtsamkeit und fehlender Ordnung entstanden sind (so etwas soll ja einmal vorkommen). Dann können Sie natürlich an die Konzentration und das Ordnungsgefühl appellieren. Meistens passiert genau das, dieses Predigen und Appellieren, zum hundertsten Mal. Es führt in der Regel nicht zu einem besonders überzeugenden Ergebnis. Sie können auch die Frage aufwerfen, welches Selbstverständnis die Mitarbeiter als Gruppe haben wollen und für was sie stehen. Nehmen wir an, das Unternehmen ist in einer Gegend angesiedelt, die schon über Generationen für außergewöhnliches Handwerk bekannt ist, dann kann die Gruppe sich mit dieser Tradition identifizieren. Der gute Ruf der Region oder die Freude der Menschen an den guten Produkten aus dieser Gegend spielen in diesem Fall eine wichtige Rolle. Diese Tradition in Ehren zu halten ist dann das „Größere“, für das die Gruppe dann arbeitet. Der eine oder andere Leser könnte hier einen Einwand haben, den ich gern behandle.

Das Beispiel spricht die Verantwortung an, die wir als Menschen für den Ruf und das Image einer alten Tradition empfinden können. Es kann natürlich noch sehr viel mehr Ziele geben, deren Nutzen sich nicht auf die Handelnden selbst beschränken, sondern für die Mitmenschen, heutige und zukünftige, oder für die Umwelt einen Wert hat. An einer großen Sache zu arbeiten, gibt den meisten Menschen ein Gefühl von Sinn. Dadurch wird das Arbeiten wesentlich erleichtert.

Ein wichtiger Punkt muss an dieser Stelle erwähnt werden: Ist jedes größere Ziel auch ein gutes Ziel? Die eindeutige Antwort ist: Nein! Der Maßstab, der angelegt werden muss, ist die Auswirkung des Ziels auf die Umwelt. Führt unser Tun zu einem Mehr an Glück für möglichst viele Wesen und zwar gleichgültig, ob diese Wesen uns nahe sind oder nicht, oder führt es zu Glück für die einen und Leid für die anderen? In letzterem Fall ist das größere Ziel letztendlich nur ein verkapptes kleingeistiges und egoistisches Ziel.

Treu zu sich selbst und seinen Möglichkeiten

Natürlich ist es jedem freigestellt, einfach arbeiten zu gehen, um am Ende jeden Monats genug Geld auf dem Konto zu haben. Diese Haltung wirkt sowohl pragmatisch als auch realistisch. Allerdings ist sie auch zutiefst zynisch. Hier verbirgt sich einer der wichtigsten Gründe, warum die regelmäßigen Umfragen bei Mitarbeitern (Gallup & Co.) die immer gleichen Ergebnisse liefern. Auch das steckt im System. Zum Beispiel „bestach“ Henry Ford kompetente Fachkräfte mit einer Menge Geld, damit diese ihre kleinen Werkstätten verließen, um an Montagebändern die bekannt stumpfsinnige Arbeit zu verrichten und sich den Befehlen eines Managers zu beugen. Dafür verließen sie eine erfüllende Arbeit, bei der sie die Frucht ihrer Mühen sehen konnten. Es gab zwar weniger Kapital, dafür aber mehr Erfüllung.

Wenn wir aber diesen Status Quo nicht akzeptieren wollen, müssen wir uns die Frage stellen: „Welcher Mensch könnte und möchte ich werden und wie kann ich auf dieses Ziel im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit hinarbeiten?“ Nur wenn Sie als Führungskraft wissen, wohin ein Mensch oder eine Gruppe strebt, können Sie Ihre Kommunikation so gestalten, dass sie diese tiefere Saite im anderen berührt und zum Schwingen bringt.

Persönlichkeit und Wirkung

Bei Kommunikation spielt selbstverständlich unsere Persönlichkeit eine große Rolle. Ob im Gespräch oder in der schriftlichen Kommunikation, unsere Persönlichkeit ist spürbar und entfaltet eine bestimmte Wirkung.

Natürlich ist dieser Punkt heikel. Denn was tun, wenn man keine herausragende, charismatische Persönlichkeit hat? Bevor wir darauf näher eingehen, muss zunächst einmal geklärt werden, auf welche Weise die eigene Persönlichkeit einen Einfluss auf das Sinngefühl des anderen haben kann. Wie auch beim Thema „gegenseitiges Vertrauen“ erwähnt, tut sich der Mensch leichter, von jemandem, dem er vertraut, Impulse anzunehmen. Vertrauenerweckend zu sein hängt aber mindestens genauso sehr von der Persönlichkeit ab, wie von anderen Faktoren, zum Beispiel der nachgewiesenen Expertise.

„Persönlichkeit“ fällt in die Kategorie jener Begriffe, mit denen zwar jeder etwas anfangen kann, die sich aber einer sicheren Definition entziehen. Besonders schwierig wird es bei der Frage, ob wir selbst eine besondere Persönlichkeit sind oder Charisma haben. Tatsächlich ist es unmöglich, das zu wissen. Selbst wenn die Umwelt uns dazu eine Antwort gibt, werden wir es selbst niemals fühlen. Woran liegt das? An der subjektiven Dimension von „Persönlichkeit“. Ob ich eine starke Persönlichkeit habe, hängt vom Betrachter ab. Ich selbst mache nur das Angebot, mit meinem Körper, meinem Auftreten, meinem Reden und Denken. Mein Gegenüber entscheidet, wie dieses Angebot gewertet wird. Offensichtlich wird nicht jeder Mensch die gleiche Einschätzung haben. Daher kann ich niemals wissen, ob ich ein charismatisches Auftreten habe oder nicht.

Kann man dann also nichts machen? Natürlich kann man etwas machen. Es gibt ja Personen, die von vielen Menschen als „besonders“ angesehen werden, die eine herausragende Persönlichkeit zu haben scheinen. Dazu müssen diese Personen Klarheit über ihre Werte haben, wissen, wofür sie stehen und konsequent gemäß diesen Werten leben. Das bedeutet, wenig Ängste vor den Folgen dieses konsequenten Handelns zu haben. Dadurch sind diese Personen nicht wie ein Fähnchen im Wind, können auch einmal unbequem werden, bleiben aber die meiste Zeit über berechenbar. Wichtig ist auch, eine innere Haltung der Großzügigkeit zu pflegen. Wenn die Motive weitestgehend egoistischer Natur sind, ist es zwar möglich, vorübergehend Menschen zu blenden. Doch in der Regel spürt das Umfeld schnell, wo der Hase lang läuft. Dann entsteht Unbehagen und mit dem Charisma ist es schnell vorbei.

Die Art, wie wir unser Leben im Allgemeinen führen, hat demnach einen Einfluss auf die Fähigkeit, die wir haben, anderen Sinn zu vermitteln. Unter diesem Gesichtspunkt ist es also ein echtes Langzeitprojekt. Zum Glück fängt niemand bei null an (zumindest, wenn er oder sie schon Führungskraft ist). Der erste wichtige Schritt ist, sich bewusst zu werden, wo man tatsächlich steht, wie viel Klarheit man hat. Bereits mit dieser Grundlage ist schon viel erreicht.

Gegenseitiges Vertrauen

Der Mensch lernt durch Nachahmen. Zumindest macht das einen wichtigen Teil unserer menschlichen Lerntechniken aus. Das Nachahmen wird zum Nacheifern, wenn das Vorbild für uns besonders inspirierend ist oder wir ihm zutiefst vertrauen. Auf der Basis von Vertrauen sind wir sogar bereit, einen Sinn da zu vermuten, wo wir ihn noch nicht erkennen können. Durch unser Vertrauen beflügelt, sind wir bereit, solange über ein bestimmtes Thema nachzudenken, bis wir tatsächlich beginnen, darin einen Sinn für uns selbst zu erkennen.

Das Gegenteil gilt offensichtlich genauso. Wenn ich jemandem misstraue, muss die Argumentation extrem zwingend sein, damit ich einen Sinn darin erkenne. Im Extremfall, wenn das Misstrauen besonders stark ist, kann ich sogar den Sinn eines bestimmten Themas aus den Augen verlieren, nur weil es von dieser bestimmten Person angesprochen wird.

Für jeden, der Sinn vermitteln und seine Mitmenschen inspirieren will, ist es daher Pflicht, so zu handeln, dass Vertrauen entstehen kann.

Transparenz und Klarheit

Wenn Sie keinen Durch- und Überblick über die größeren Zusammenhänge haben, wenn Sie nur einen kleinen Ausschnitt sehen, tun Sie sich schwer zu erkennen, was sinnvoll ist und was nicht. Denn Sie können die Auswirkungen Ihrer Handlungen nicht einschätzen. Daher können Sie mit diesen Handlungen auch nicht ein höheres, übergeordnetes Ziel anstreben.

Transparenz ist für Führungskräfte ein besonders schwieriges Thema. Meistens schlägt mir, wenn es darum geht, den Mitarbeitern Informationen zugänglich zu machen, eine große Skepsis entgegen. Im Kern dieser Skepsis steht die Frage, ob die Mitarbeiter mit diesen Informationen umgehen können, ob sie diese Informationen „verkraften“.

Es gibt einen zweiten Aspekt, den aber niemand zugibt. Sehr viele Führungskräfte definieren ihre Rolle sehr stark über das Wissen, das sie den Mitarbeitern voraus haben. „Wissen ist Macht“ – ein Spruch, der nach wie vor in vollem Umfang gilt. Doch genau dieser Punkt, sich berechtigt zu fühlen, den anderen zu führen, weil ich mehr weiß und mehr kann, führt zu der oben angesprochenen Skepsis. Zur eigenen Führungskompetenz gehört nämlich vermeintlich dazu, auch schwierige Informationen besser zu verarbeiten als die Mitarbeiter.

Offensichtlich wird damit den Menschen die Fähigkeit eines mündigen Erwachsenen abgesprochen. Doch diese Denkweise ruht auf einem wackeligen Fundament. Denn dieselben Menschen, die im Unternehmen nicht in der Lage sein sollen, mit Informationen jedweder Art vernünftig und erwachsen umzugehen, dürfen Auto fahren, einen Bankkredit nehmen und sogar die Bundesregierung wählen. Wären die unausgesprochenen Annahmen vieler Führungskräfte zutreffend, sollten wir in Deutschland, wie auch anderswo in der Welt, dringend zu einem restriktiveren Wahlsystem zurückkehren. Zum Beispiel einem System, in dem nur Führungskräfte mit mindestens fünf Mitarbeitern wählen dürfen.
Das wäre natürlich absurd!

Für diejenigen, die vollen Zugriff auf die Informationen haben, ist es nur dann möglich, eine gesunde Transparenz zu schaffen, wenn ihnen auch das große Ziel klar ist. Für was steht das Unternehmen, was ist sein Daseinszweck in dieser Welt? Auf Basis dieser Klarheit wird automatisch alles im Unternehmen publik gemacht, was für das Erreichen des Ziels, für das Anpacken der Aufgabe wichtig ist. Ist durch Transparenz eine gute Wissensbasis aufgebaut, auf der sich Verstehen entwickeln kann, ist es leicht möglich, den Sinn einer Anweisung oder einer Entscheidung zu vermitteln, und zwar selbst dann, wenn diese nicht auf kurzfristige, leicht nachvollziehbare Ergebnisse ausgerichtet ist.

Dialog und Auseinandersetzung

Sinn ist etwas Individuelles, ein Gefühl, also vollkommen subjektiv. Da das Sinngefühl bei Ihrem Ansprechpartner entsteht, in seinem Geist, ist das Empfinden von Sinn eine geistige Leistung, die dieser Ansprechpartner selbst erbringen muss. Ein Dialog regt den Geist in aller Regel mehr an als ein Monolog, den man sich (brav) anhört. Ist die Kommunikation eine Einbahnstraße, entsteht wenig Motivation, sich mit den Gedanken, die ich vermitteln möchte, intensiv auseinander zu setzen. Ein Austausch regt wesentlich mehr dazu an. So kann sich das Gefühl von Sinn, dank einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Gesprächs, nach und nach einstellen.

Dabei ist besonders wichtig, Einwände zuzulassen. Meistens bedeuten Einwände nämlich, dass der Gesprächspartner sich gerade selbst etwas verkauft. Vertriebsexperten wissen das genau. Das Abwürgen einer Diskussion an diesem Punkt ist also keine gute Idee. Auch nicht die einfache Einwandbehandlung. Nur weil der Einwand vom Tisch ist, heißt es noch lange nicht, dass es Klick gemacht hat und alles verstanden worden ist.

Diskussion heißt an dieser Stelle: hinhören. Nur wenn mein Gegenüber den Eindruck bekommt, mit seinen Zweifeln und Ideen von mir ernst genommen worden zu sein, wird er im Gegenzug meinen Gedanken eine Chance geben. Dann erst können sie „sinnstiftend“ werden.

Der richtige Zeitpunkt

Sicher kennen Sie dieses Gefühl, das Sie an manchen Tagen fest im Griff hat: Ganz egal, was heute passiert, alles erscheint irgendwie grau und nicht inspirierend. An solchen Tagen kann Ihnen im Grunde nichts das Gefühl von Sinn vermitteln. Was auch immer es ist, Sie können sich nicht dafür öffnen. Das kann natürlich auch anderen passieren. Wenn Sie bei einer Ansprechpartnerin einen solchen Tag erwischen und versuchen, ihr (auf Biegen und Brechen) Sinn zu vermitteln, ist es nichts anderes als Energie-verschwendung. Es ist natürlich nicht leicht zu erkennen, in welchem Gemütszustand ein Mensch ist. Unmöglich ist es allerdings auch nicht, vor allen Dingen, wenn wir den Menschen etwas kennen (je besser wir ihn kennen, desto leichter wird es sein). Wenn es also um etwas Wichtiges geht und Sie bemerken die „miese“ Stimmung Ihrer Ansprechpartnerin oder Ihres Ansprechpartners, wird es das Beste sein, auf lange Gespräche zu verzichten und einen günstigeren Moment abzuwarten.

Was hier im Besonderen bei einem individuellen Gespräch gilt, trifft natürlich auch allgemein auf Kommunikation zu, ob unter vier, sechs, acht oder ein Vielfaches von zwei Augen. Die richtige Botschaft im falschen Augenblick bleibt insgesamt falsch.

„Warum erfahren wir das jetzt erst?“ höre ich oft in Unternehmen. Oder umgekehrt: „Das habe ich doch inzwischen längst vergessen, da hätten Sie mich zeitnah dran erinnern sollen.“ Jemand, der gerade mit der Nachtschicht fertig ist, dem steht mitunter der Sinn nur nach Bett, die Biologie überdeckt momentan das Gespür für „höhere Wahrheiten“.

Ein Bauer muss im richtigen Moment das Feld bearbeiten, umpflügen, säen, ernten. In der gleichen Weise muss jeder, der erfolgreich kommunizieren will, den richtigen Moment kennen und nutzen, um seine Botschaft zu senden. Das gilt umso mehr, wenn es Ihnen wichtig ist, nicht nur einen Gedanken oder eine Anweisung „rüberzubringen“, sondern echten Sinn zu vermitteln.

Stories

Die folgenden fiktiven Geschichten (die sich aber so ähnlich hätten zutragen können), geben einen Eindruck davon, wie die Punkte zur Anwendung kommen, im Negativen wie im Positiven.

Die Weihnachtsfeier sollte ein ganz besonderes Ereignis werden. Hermann, Unternehmer und Geschäftsführer in Personalunion, will seine Mitarbeiter auf einen neuen Kurs einschwören. Bisherige Versuche scheiterten an vielen Widerständen, warum und von wem genau ließ sich nicht erkennen.

„Wir müssen unsere Produktion nachhaltiger gestalten, die Rohstoffe, die wir einsetzen, dürfen die Umwelt nicht belasten, Gesundheit und Funktionalität dürfen nicht im Widerspruch stehen.“ Trotz dieser vernünftigen Forderung gelingt es nicht, die Mannschaft mit diesem Wunsch des Chefs zu versöhnen. Die Einwände sind vielfältig: die technischen Hürden sind zu hoch, die Preise werden nicht gezahlt, die Qualität leidet und und und…

Unser wohlmeinender Unternehmer zeichnet sich durch geringe rhetorische Fähigkeiten aus und ist obendrein ausgesprochen schüchtern. Das macht die Sache nicht leichter. Hermann beschließt, die Bastion der Widerständler im Sturm zu erobern, und lädt zur Weihnachtsfeier einen Redner ein, der landesweit durch Funk und Fernsehen wohlbekannt ist. So jemand kommt normalerweise nicht zu so einem kleinen Unternehmen. In dieser Situation nützen Hermanns gute Beziehungen. Der berühmte Redner sagt zu.

Doch Herrmann lässt sich dazu überreden, auch selbst etwas vorzubereiten. Eine Präsentation, in der er seine Vision (erstmalig) ausführlich erklärt. Die Vorbereitungen kann man fast schon schmerzhaft nennen, jedes Wort muss einzeln geübt werden. Als die Feier naht, ist der Auftritt noch immer sehr wackelig. Eine Glanzleistung wird es wohl nicht werden.

Schließlich ist es überstanden. Und was ist das Ergebnis? Was sagen die Mitarbeiter, für die das Ganze gedacht war? „Also, den Redner haben wir nicht so wirklich verstanden… Keine Ahnung, was der wollte. Aber was der Chef gesagt hat, das war gut. Und es war gut, dass er sich vor uns hingestellt hat und mal klar gesagt hat, was er will!“

Oft kommt es eben darauf an, wer etwas sagt, ganz gleich, wie ungeschickt im Ausdruck es auch sein mag.

Paul, der Vorstand des Unternehmens, befleißigt sich manchmal eines herben Tones gegenüber seinen Mitarbeitern. In einer Zeit, in der es dem Unternehmen nicht gut geht, werden die Mitarbeiter gebeten, auf Einkommen zu verzichten. Natürlich wird die Pille versüßt durch das Versprechen, diesen Verzicht zu honorieren, sobald es dem Unternehmen besser geht. Doch, wie es im Leben eben manchmal so geht, wird das Versprechen nicht eingelöst. Natürlich gibt es aus Pauls Sicht dafür eine Menge guter Gründe. Doch irgendwie kommen die bei den Mitarbeitern nicht an.

Irgendwann geht die, ohnehin schon schwächelnde, Laune ganz in den Keller. Das nervt Paul, der eigentlich Mitarbeiter braucht, die Gas geben und Verbesserungen anstoßen. Die Mitarbeiter aber denken nicht daran. Stattdessen fragen sie, immer eindringlicher, was nun mit der versprochenen Geste als Dank für den Einkommensverzicht sei?

Irgendwann platzt Paul der Kragen und mit unwirschem Ton weist er das verwöhnte Pack auf die Lage der Menschen hin, die in ihren Essensschalen nur ein paar Körner Reis finden.

Die Wirkung dieser Aussage können Sie sich sicher vorstellen. Sie wird innerhalb kürzester Zeit zur Legende und Paul ist definitiv unten durch. Seine Bemerkung wird als ebenso arrogant wie unangemessen empfunden. Damit hat der Vorstand seine Glaubwürdigkeit als Chef verspielt.

Doch es ist nie zu spät, den Kontakt zu Menschen wieder aufzunehmen. Man kann zumindest den Versuch unternehmen, einen Eindruck, den man vermittelt hat, wieder zu korrigieren.

Paul entscheidet sich schließlich, inzwischen sind viele Monate vergangen, vor seine Mitarbeiter zu treten und darüber zu sprechen, wie er sein eigenes Verhalten einschätzt und sie um Entschuldigung zu bitten. Dieser Entschluss erfordert von ihm sehr viel Mut und Einsicht über die Wirkung, die er auf andere gemacht hat. Er muss seinen Stolz überwinden.

Für die Mitarbeiter ist ein solcher Schritt völlig überraschend und führt sofort dazu, dass ihr Bild des Chefs sich ändert. Natürlich wollen alle sicher sein, dass es sich nicht um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Doch das Eis ist gebrochen. Und was noch wichtiger ist: Paul hat Stärke bewiesen. Denn nur wer wirklich stark ist, kann Verfehlungen und Schwächen eingestehen und dabei auch noch andere inspirieren.

Diese Geschichte kann in einem spannenden Buch* von Hugues Le Bret nachgelesen werden. Der Autor hatte das zweifelhafte Vergnügen im Januar 2008 bei der Société Général als Pressesprecher zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte die Bank den Milliardenbetrug eines (kleinen) Brokers, der beinahe nicht nur die Bank, sondern gar das ganze Weltwirtschaftssystem zum Einsturz gebracht hätte.

Selbstverständlich gab es nach dem Bekanntwerden der Schwierigkeiten eine Pressekonferenz. Die Vorstände, die Rede und Antwort stehen mussten, hatten sich gründlich und auf alles vorbereitet… Glaubten sie zumindest.

Nun stehen die Herren vor der „Meute“ der Journalisten. Und was ist das Einzige, woran diese interessiert sind? Dem Namen des Übeltäters! Sonst nichts (bzw. praktisch nichts). Die Bank will allerdings keine „Menschenjagd“ und rückt mit dem Namen nicht raus. Bis dahin kann man es ja noch verstehen. Was aber die Journalisten nicht verstehen: Der Vorstandsvorsitzende gibt nüchtern zu Protokoll, er kenne den „Rogue-Trader“ nicht, habe ihn nicht persönlich gesprochen und erachte das auch nicht für nötig. Wo der Mann sich derzeit aufhält ist ihm auch nicht bekannt.

Der Aufruhr unter den Journalisten ist immer schwieriger zu kontrollieren. Wie kann der Vorstands-vorsitzende den Mann, der nicht nur seine Bank, sondern vielleicht sogar die ganze Weltwirtschaft in die Katastrophe geführt hat, nicht wenigstens einmal selber sprechen wollen? Man glaubt ihm nicht.

Schnell urteilen die Journalisten: Da steckt mehr dahinter; der Trader ist nur ein Sündenbock, man sagt uns nicht die Wahrheit. Das Vertrauen ist zerstört.

Diese Begebenheit zeigt, wie wichtig es ist zu verstehen, was den anderen bewegt, worauf es ihm ankommt. Ohne dieses Verständnis wird unsere Kommunikation kaum ein Gefühl von Sinn beim Gegenüber erzeugen. Für die Journalisten ergab vieles von dem, was sie hörten, keinen Sinn. Außerdem waren alle auf eine Story aus. Und jede Story braucht einen Namen und ein Gesicht. Wird dieses Bedürfnis nicht befriedigt, ist die Stimmung nachhaltig gestört. Zeigt man nicht einmal Verständnis für diesen Bedarf nach einer Story, ist die Kommunikation zum Scheitern verurteil.

Der Pressesprecher musste eingreifen und die Konferenz sang- und klanglos zwangsbeenden. Die Vorstände hatten größte Mühe, sich hinter der Bühne von dem Schock der Konfrontation zu erholen. Der Imageschaden war enorm und hat dem Unternehmen möglicherweise genauso geschadet wie die eigentliche Straftat, um die es hier ging.

*„Die Woche, in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte: Ein Insiderbericht“

Bevor wir in die Geschichte einsteigen, ist eine Vorbemerkung über die Themen „Manager“ und „Ressource Mensch“ angezeigt:

Ein Manager ist dafür da, das investierte Kapital zu mehren. Punkt. Wie er das macht, spielt keine Rolle.

Diese Aussage ist hart. Man könnte fragen, wie es mit Gesetzen und Regeln aussieht? Es sieht folgendermaßen aus: Wenn der Manager, um das Kapital zu mehren, Gesetze und Regeln großzügig auslegen muss, so darf er sich dabei halt nicht erwischen lassen. Vielleicht ist es um dieses Risikos willen, dass die Gehälter der Manager in keinem Verhältnis zu deren tatsächlichen Leistungen stehen? (Ebenso gründliche wie seriöse Analysen und Studien haben gezeigt: Das Management eines Unternehmens beeinflusst zu maximal 5 % den Erfolg des Unternehmens).

Für den Manager geht es um das Mehren des Kapitals. Das bedeutet, alles, was zum Unternehmen gehört, wird als Mittel zur Mehrung des Kapitals betrachtet. So auch die Menschen. Die Wahrnehmung des Managers ist also institutionell vorgegeben. Manager und Managerin sehen die Menschen, die sich zur „Belegschaft“ zusammenfügen, zwangsläufig (nur) als Ressource. Das ist hinlänglich bekannt und wird sich, aller wohlmeinenden Management-Literatur zum Trotz, im Rahmen des bestehenden Systems nicht ändern.

Und nun zur Geschichte:

Armin H., erfahren sowohl im Führen als auch im Managen, übernimmt den Posten des Geschäftsführers in einem mittelständischen Unternehmen in der Nähe des bayerischen Eggenfelden. Von den knapp 1.000 Mitarbeitern sind fast 600 als wenig ausgebildete Kräfte im Bereich der Produktion tätig. Die meisten kommen aus dem direkten regionalen Umfeld des Unternehmens und arbeiten zum Teil bereits in der zweiten Generation in diesem Unternehmen. Obwohl diese Menschen einen großen Teil der produktiven Leistung des Unternehmens erbringen, hat es sich im Lauf der Jahrzehnte bei den Führungskräften aller Ebenen eingebürgert, diese anonyme Masse mit einer latenten Verachtung im Ton zu erwähnen.

Diese Haltung honorieren die Mitarbeiter durch eine hohe Krankenquote und eine Menge Qualitäts-probleme. Sehr zum Verdruss der Leitung, die im Laufe der Jahre hilflos mit ansehen musste, wie die Zahlen immer schlechter wurden, bis die Lage schließlich unhaltbar wurde.

Armin H. steht also vor keiner leichten Aufgabe. Offensichtlich versagen die üblichen Management-Werkzeuge, insbesondere eine strengere Kontrolle und erhöhter Druck. Es bleibt dem Unternehmen nichts anderes übrig, als mit den Menschen zu arbeiten. Was übrigens auch bedeutet, endlich dem eigenen offiziellen Anspruch gerecht zu werden. Gemeint sind hier die beständig verkündeten Wertvorstellungen.

Günstigerweise starten zu dieser Zeit einige der wenigen engagierten Mitarbeiter, von denen laut Statistiken in Unternehmen weltweit nur deprimierende 15 % zu finden sind, eine Initiative. Diese hat zum Ziel, die Gestaltung wichtiger Prozesse in die Hände derjenigen Mitarbeiter zu geben, welche diese Prozesse täglich durchleben. Für Armin ist dies eine willkommene Chance. Entspricht doch diese Initiative seiner eigenen Philosophie und seinem Verständnis von Arbeit. Auf der anderen Seite stellt diese Initiative eine Revolution im Unternehmen dar, was natürlich weder die mutigen Kollegen noch Armin schreckt.

Es kommt der Moment, an dem die Initiative vorgestellt und die Menschen überzeugt werden müssen mitzumachen. Sie dürfen Veränderungen selbst anpacken. Armin lässt es sich nicht nehmen, für die Initiative Pate zu stehen. Bei den Vorstellungsrunden des Projekts, die vor kleinen Gruppen in mehreren Wellen stattfinden, ist er dabei. Er bietet den Anwesenden an, die Gelegenheit zu nutzen, mit ihm in den Dialog zu gehen. Alle Fragen sind erlaubt, Armin spricht entspannt, auf Augenhöhe mit den Menschen (wohl bemerkt: „Menschen“ und nicht „Mitarbeiter“). Diese Haltung zeigt Wirkung, denn die meisten Anwesenden kennen so etwas nicht von der Führungsriege des Unternehmens. Armin nimmt Impulse dankbar auf, beantwortet Fragen und verzichtet dabei auf „Politikerfloskeln“.

In Folge dieser Runden entsteht nach und nach im Unternehmen eine neue Dynamik. Diese ist die Grundlage für die Rückkehr zum Erfolg.

„Zu Menschen sprechen“ und nicht „zur Belegschaft“, „dem Personal“ oder sogar den „Mitarbeitern“ ist für eine Führungskraft leichter gesagt als getan. Es lohnt sich jedoch, diesen Weg zu gehen. Warum? Weil nur ein Mensch Sinn erleben kann, im Gegensatz zu einer Ressource, die das nicht kann. Ohne Sinn sind Engagement und Motivation reine Theorie.

Die Lagerarbeiter eines Logistikunternehmens sind das Herz des Unternehmens. Das ist allerdings ein schwacher Trost. Die 11 Stunden täglicher Arbeit und häufige Wochenendeinsätze, um Kunden-anforderungen dank letzter Kraftanstrengung zu erfüllen, machen einfach keinen Spaß. Vor allen Dingen dann nicht, wenn das Einkommen im Grunde eher einem Halbtagsjob als dieser Vollzeitmaloche entspricht. Um die durch den Vertrieb im Minutentakt hereingereichten Kundenaufträge zu versenden, wurde in den letzten Jahren mit zunehmendem Druck versucht – und mit schierer Kraft – das Tempo zu erhöhen. Natürlich gab es auch Versuche gezielter Verbesserung. Das Übliche: andere Regalsysteme, Laufwege verbessern, digitale Unterstützung… All diese Schritte waren wichtig.

Doch die Mitarbeiter glaubten nicht mehr daran, jemals einen normalen Arbeitsalltag zu haben. Überwiegend herrschte das Gefühl vor, im Nebel zu laufen und nicht zu verstehen, woher eigentlich das Problem kam und worin genau es bestand. Die Auswirkungen konnte jeder am eigenen Leib erfahren, nicht aber die Ursachen erkennen. Verdammt frustrierend!

Schließlich nahmen sich die Mitarbeiter Zeit, um zuallererst Transparenz in ihr Handeln zu bringen. Sie analysierten genau die Abläufe, die zum Erledigen eines Auftrags führten. Mit der Hilfe von etwas (einfacher) Mathematik und den Wundern einer Excel-Tabelle entstand schließlich eine Kennzahl, deren Hintergrund und Sinn jeder verstand. Mit dieser Kennzahl ausgestattet war es leicht, die Auswirkung von Verbesserungsversuchen innerhalb von wenigen Tagen genau zu erkennen.

Plötzlich ergaben die Verbesserungsansätze einen Sinn, den die Mitarbeiter bestens nachvollziehen konnten. Es machte sogar Spaß, sich per Try-and-Error einem Zustand der Perfektion anzunähern. Durch erste Erfolge beflügelt, entstand ein freundschaftlicher Wettbewerb mit dem Vertrieb. „Wer ist schneller? Ihr, mit dem Reinholen von Aufträgen, oder wir, mit dem Kommissionieren und Versenden?“

Am Ende hat das Lager den Wettbewerb gewonnen. Wochenendarbeit gehörte der Vergangenheit an, auch 11-Stunden-Schichten. In Zahlen ausgedrückt hat das Lager innerhalb eines Jahres die Leistung um über 100 % verbessert. Der Schlüssel dafür war das Gefühl von Sinn, den die Mitarbeiter bei ihren Bemühungen für Verbesserung erkennen konnten.