2017-11-10 / Der Blogger
Mit der Frage nach dem Sinn fühlte ich mich schon sehr früh konfrontiert. Damit stelle ich allerdings keine Ausnahme dar. Die meisten Kinder, die sich durch ein Schulcuriculum arbeiten müssen (beinahe hätte ich „quälen“ geschrieben), haben große Mühe, den Sinn zu erkennen. Bei mir fing es recht früh an. Schon in der ersten Schulklasse durfte ich als letzter der Klasse von Bleistift auf Füller wechseln. Meine Handschrift hat sich von diesem Schock bis heute nicht erholt. Von da ab habe ich mich gefragt, was das Ganze eigentlich soll. Solange die Schule währte, habe ich darauf keine befriedigende Antwort gefunden.
Das Gefühl von Sinnlosigkeit fand dann seinen Höhepunkt während meiner Zeit in Mittenwald, wo ich 15 (lange) Monate als Gebirgsjäger Dienst tat. Mit der Bundeswehr als solcher oder der Frage nach dem Sinn von Krieg hatte dieses Gefühl wenig zu tun. Es stellte sich einfach angesichts des Alltags eines Kasernensoldaten ein. Dabei war ich voller Neugier und Erwartungen angetreten, doch diese Offenheit wurde schnell unter Feldwebelstiefel zertreten. Den einzige Trost fand ich in der grandiosen Natur des Karwendelgebirges.
Dem Kommissleid endlich entronnen, ordnete ich mich weiter der Bürgervernunft unter und trat in München ein Maschinenbaustudium an. Das Problem dabei: Auch für Maschinenbau sollte man wenigstens ein bisschen Talent haben. Bei mir: Fehlanzeige. Das Gefühl der Sinnlosigkeit kehrte wieder. Ich hatte abschreckende Visionen eines standardisierten Lebenslaufes, der in meiner Fantasie ungefähr so aussah: Studium, Berufseinstieg, Ehe, Kinder, etwas Karriere, Herzkasper mit Mitte 50. An diesem Punkt beschloss ich, dem Albtraum ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Ich brach das Studium vor dem Point of no return ab und wandte mich vernünftigen Dingen zu.
Es kam Paris, die Schauspielschule, das Studium der französischen Literatur an der Sorbonne. Im Gegensatz zu Maschinenbau, kann man da auch ohne Talent Schauspieler werden. Man muss nur genug Sinn darin erkennen, allen Hindernissen zum Trotz einfach weiter zu machen, bis die Erfahrung das fehlende Talent wettmacht. Doch noch bevor dieser Punkt für mich erreicht war, sattelte ich noch eins drauf. Weil Schauspiel allein noch nicht schwer genug war, beschloss ich – inzwischen schon 24 Jahre alt –, die Karriere eines Opernsängers einzuschlagen. Schwierig, wenn man keinen Ton trifft, vom Stimmumfang her bestenfalls „Alle meine Entchen“ singen kann und Noten nur mit viel Mühe und Not entziffert. Egal… Mit Schauspielerei verdiente ich nebenher mein Geld, den Rest der Zeit viele Stunden damit verbringend, immer denselben Ton zu üben und mich langsam in König Phillip und in den Bösewicht Hagen (Götterdämmerung) einzuarbeiten.
Am Ende landete ich tatsächlich auf der Opernbühne. Beim täglichen Gang zum Stadttheater Pforzheim, in dem ich als Solist einen Vertrag ergattert hatte, konnte ich es selbst kaum glauben… Ein Happy End? Fast, aber nicht ganz. Tatsächlich litt ich auch hier schon bald unter akutem Sinnmangel. So spannend und bereichernd ich die Probenarbeiten immer fand, so oft musste ich mich über sinnlose Inszenierungen ärgern. Aus meiner Sicht zelebrierte zu oft der Regisseur seinen eigenen Intellekt. Ein strenges Urteil, das gebe ich unumwunden zu. Doch so empfand ich es damals.
Also, trotz aller Liebe zu Bühne und Gesang, stand das nächste Abenteuer an: Afrika. Für die viel zu früh und völlig unerwartet verstorbene Firma DaimlerChrysler gab ich die Rolle des Export-Managers. Mein Arbeitsplatz war das Regionalbüro West-Afrika in Abidjan, Elfenbeinküste. Wie es bei dieser Tätigkeit um den Sinn bestellt war, kann ich kaum sagen, denn kaum drei Monate nach unserer Ankunft brach ein Bürgerkrieg aus. Ein schönes Beispiel für Fehlprognosen: Am ersten Tag – niemand konnte das Haus verlassen – sagte mir mein Chef am Telefon: „Ach, das ist nichts, in drei Tagen ist alles vorbei…“ Der Bürgerkrieg hat fast zehn Jahre gedauert! Für mich eine Gelegenheit aus aller nächster Nähe zu beobachten, wie völlig sinnlos eine kriegerische Auseinandersetzung ist. Nach etwa eineinhalb Jahren beschlossen wir, genug Kriegsbeobachtungen betrieben zu haben.
Zurück in Deutschland beschloss ich, zu diesem Zeitpunkt noch etwas zögerlich, dass ich inzwischen genügend (Lebens-)Erfahrung gesammelt hätte, um diese weiterzugeben, ohne dass es peinlich wäre. So begann ich mit Führungskräften zu arbeiten, um sie im Bereich der Kommunikation zu unterstützen. Da ich allerdings über wenig Industrieerfahrung verfügte, erlaubte ich mir noch einen Umweg über eine Unternehmensberatung, der zweieinhalb Jahre dauerte. Dort habe ich viel gelernt, in zweierlei Hinsicht.
Zum einen habe ich auf der persönlichen Ebene einmal mehr am eigenen Leib erfahren, wie wichtig Sinngefühl für mich ist: Tagein, tagaus über deutsche Autobahnen zu pflügen, um irgendwie den geplanten Umsatz zu realisieren und zwar unabhängig davon, ob der Kunde die Beratung braucht oder nicht, hat mir viel Mühe bereitet. Was sollte das?
Zum anderen auf der Ebene der Unternehmensrealität: Die Arbeit in der Unternehmensberatung erlaubte es mir, viel und intensiv mit Mitarbeitern aus allen Bereichen zu arbeiten. Dabei erfuhr ich von den Frustrationen und Ängsten, die oft auch unbewusst durch Führungskräfte ausgelöst werden. Ich hatte viel Kontakt zu den Menschen, die in den regelmäßig wiederkehrenden Gallup-Studien Dienst nach Vorschrift machen oder gar innerlich gekündigt haben. Natürlich auch zu denjenigen, die trotz aller Widrigkeiten voller Elan für das Unternehmen arbeiteten. Diese Begegnungen zeigten mir deutlich, wie wichtig das Gefühl von Sinn ist, wie sehr der Unternehmenserfolg daran hängt.
Seit 2008 dreht sich meine selbstständige Tätigkeit um nichts anderes als um die Frage nach dem Sinngefühl. Weitere Details dazu finden Sie in meinen Blogbeiträgen.