2019-02-17 / Mit Lügen zum Ziel?
Mit Lügen zum Ziel?
Was (die meisten von) uns davon abhält, regelmäßig zu lügen.
Warum wird eigentlich nicht mehr gelogen? Durch eine geschickte Lüge kann sich doch jeder einen Vorteil verschaffen! Doch etwas hält uns davon ab, dieses unlautere Kommunikationsmittel einzusetzen. Das Stichwort heißt Vertrauen. Unser Erfolg als Mensch hängt von unserer Fähigkeit ab, zusammenzuarbeiten. Das wiederum geht nur, wenn genügend Vertrauen innerhalb der Gruppe herrscht. Doch wo ist die Grenze zwischen geschönter Wahrheit, mit der wir unser Image als Führungskraft pflegen wollen, und einer Lüge? Und bringen diese kleinen Unehrlichkeiten überhaupt etwas?
Lügen fällt uns ziemlich leicht. Zumindest, wenn es um Kleinigkeiten geht. Freilich, die Definition von „Kleinigkeiten“ ist dehnbar… Doch um die genaue Definition von Kleinigkeit soll es hier nicht gehen. Lügen ist eine gute Möglichkeit, sich Vorteile zu verschaffen, zumindest für diejenigen, die schnell genug im Denken sind, um sich nicht erwischen zu lassen. Wer sich etwas näher mit dem Thema „Lügen“ auseinandersetzt, kommt irgendwann zu dem Punkt, an dem er sich fragt, warum eigentlich nicht viel mehr gelogen wird. Was hält uns davon ab, die Wahrheit oder die Realität so zu verdrehen, dass wir daraus, oft auf Kosten anderer, einen echten Nutzen haben?
Was ist eine „Lüge“?
Um der Sache etwas mehr auf den Grund zu gehen, müssen wir uns zunächst einmal darauf einigen, was wir unter den Begriff „Lüge“ zu verstehen haben. Über den Begriff lässt sich ein langer Artikel bis hin zu einem ganzen Buch schreiben. Für den Zweck dieses Beitrags soll es genügen, „Lüge“ folgendermaßen zu definieren: Lüge ist das bewusste Äußern einer Unwahrheit, mit dem Ziel, sich selbst einen Vorteil auf Kosten eines anderen zu verschaffen.
Abstufungen der Lüge
Im Folgenden unterscheiden wir zwei Kategorien der Lüge: Die „milde Lüge“, die sehr häufig vorkommt, und die „krasse Lüge“, die erstaunlich selten passiert.
Die „milde Lüge“ ist schon das Beschönigen von Dingen, mit dem Ziel, gut dazustehen. Aufgrund dieser Art von Lügen werden regelmäßig falsche Entscheidungen getroffen. Die vielzitierte „Einsamkeit des Geschäftsführers“ kommt zu einem großen Teil von dieser Art von Lügen. Wie Sie als Führungskraft wissen, bezieht sich dieser Begriff der „Einsamkeit des Geschäftsführers“ offensichtlich nicht nur auf Geschäftsführer, sondern auch auf die meisten Führungskräfte. Je höher in der Hierarchie, desto größer ist die „Einsamkeit“. Allerdings werden diese „milden Lügen“ gesellschaftlich akzeptiert, trotz der Schäden, die sie unerkannt anrichten.
Lassen wir also diese „milden Lügen“ beiseite und sprechen von den Lügen, die wir als „krass“ empfinden. Diese werden, wenn sie herauskommen, schon fast als kriminell empfunden und werden gesellschaftlich geächtet. Wenn sie allerdings nicht herauskommen, können sie dem Lügner einen erheblichen Vorteil verschaffen. Die Versuchung zu lügen, könnte also sehr groß sein. Denn es ist ein billiger Weg, an Vorteile zu kommen. Trotzdem wird in der Welt unterm Strich recht wenig gelogen.
Hier ist es leicht einzuwenden, Lügen sei zu riskant. Wer lügt, darf sich nicht erwischen lassen, muss geschickt seine Lüge aufrechterhalten, indem Widersprüche vermieden werden. Das ist anstrengend und deshalb wird nicht mehr gelogen. Möglicherweise stimmt dieser Punkt. Aber prüfen Sie sich selbst. Warum lügen Sie nicht öfters? Nur, weil es anstrengend ist? Es gibt auch eine positive Sicht auf dieses Thema.
Warum lügen wir nicht öfter?
Gehen wir ein bisschen in der Geschichte der Menschheit zurück… etwa 70.000 Jahre. Damals lief eine Handvoll haarloser Affen, die sich selbst Homo Sapiens nannte, über einen winzigen Teil des Erdballs. In dieser Welt hatte der Homo Sapiens nichts zu melden. Kaum 100.000 Jahre später ist derselbe Affe der entscheidende Faktor für alles, was auf diesem Planeten läuft. Das ist eine ziemliche Karriere. Wie haben wir, die diese Affen sind, diese Leistung geschafft? Dazu gibt es spannende und detaillierte Informationen vom Geschichtsprofessor Yuval Noah Harari (http://www.ynharari.com/de/) in seinem hervorragenden Buch „Sapiens“.
Für unser Thema greife ich einen wichtigen Punkt auf, den Harari anführt. Was uns als Menschen (Sapiens) von allen anderen Tieren unterscheidet, ist unsere Fähigkeit, in sehr großen Gruppen zusammenzuarbeiten. Das können natürlich nicht nur Menschen. Bienen oder Ameisen kriegen das auch hin. Allerdings können die sich nicht mal eben umorganisieren. Die Zusammenarbeit ist weitestgehend genetisch programmiert. Da bedeutet, eine Änderung der Zusammenarbeit kann nur über evolutionäre Zeiträume erfolgen. Das ist ziemlich langsam. Auf der anderen Seite gibt es unsere Vettern, die Affen, die auch in Gruppen zusammenarbeiten können. Aber mehr als zehn Individuen wird ziemlich schwer…
Unseren Erfolg als Spezies verdanken wir also vermutlich ausschließlich unserer Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zwar auch mit jemandem, den wir persönlich nie gesehen haben bzw. nie persönlich treffen werden. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache stellt sich die Frage, warum ich mit Leuten zusammenarbeiten sollte, die ich nicht kenne, die mir persönlich nichts bedeuten und von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen Vertrauen kann. Harari weist darauf hin, dass diese Zusammenarbeit möglich ist, weil alle an dieselbe Geschichte glauben und daher einen tieferen Sinn in ihrem Tun erkennen können. Natürlich passiert das alles fast vollständig auf der unbewussten Ebene. Die wenigsten sind in der Lage, die Geschichten zu erkennen oder zu benennen, die hinter ihrer Motivation stecken, die dem Handeln einen Sinn geben.
Gerade wegen dieser Unklarheit bezüglich der unterschwelligen Motive ist es umso wichtiger, den vielen anderen Menschen, mit denen wir gemeinsam an einer großen Aufgabe arbeiten, vertrauen zu können. Diese umfangreiche Kooperation, die unseren Erfolg als Art ausgemacht hat und heute noch ausmacht, wäre unmöglich, wenn wir uns nicht ziemlich sicher wären, dass das, was uns jemand sagt, auch stimmt. Wenn ein Kollege uns sagt: „Etwa eine Stunde von hier grasen fünf Mammuts, davon zwei Weibchen. Geh zum Nachbar-Klan (etwa 45 Minuten Fußmarsch, Anm. d. Red.) und gib ihnen Bescheid, damit sie schon mal die Lanzen vorbereiten.“, dann müssen wir sicher sein, dass die Geschichte stimmt. Sonst klappt es nie mit der Zusammenarbeit.
So wie es aussieht, müssen wir also ziemlich früh in unserer Geschichte gelernt haben, die Wahrheit statt die Unwahrheit zu sagen, auch wenn wir daraus einen kurzfristigen Nutzen hätten ziehen können, wie zum Beispiel die dummen Gesichter der Jäger zu sehen, die sieben Kilometer umsonst gelaufen sind. (Schalk ist vermutlich schon immer ein Merkmal des Menschen gewesen und wahrscheinlich haben sich Menschen schon früh auf Kosten anderer amüsiert).
Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle, was ein Beitrag über die Lüge in einem Blog über „Sinn vermitteln“ verloren hat? Ganz einfach: Sich gegenseitig Vertrauen zu können und das Empfinden von Sinn hängen eng zusammen. Sehr viele Dinge, die wir sinnvoll finden und gern erreichen würden, lassen sich ausschließlich dank der Kooperation vieler Mitmenschen erreichen. Auch wenn uns in der aktuellen Gesellschaft suggeriert wird, es käme auf uns alleine an und wir als Individuen könnten alles erreichen, wenn wir nur wollten, weiß ein wichtiger, unbewusster Teil von uns, dass dem nicht so ist.
Lügen geht also nicht nur gegen unser moralisches Gefühl, sondern auch gegen unser Sinngefühl. Denn welchen Sinn hätte es, andere hinters Licht zu führen, auf die ich möglicherweise später einmal angewiesen bin. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir entwicklungsgeschichtlich gesehen erst seit kurzem große Gesellschaften haben, in denen uns regelmäßig „Fremde“ begegnen. Zuvor wusste mit Sicherheit unser ganzes Umfeld Bescheid, wenn wir geflunkert hatten und dies aufflog. Lohnte sich dieses Risiko?
Vermutlich ist das der Grund, warum nicht viel öfter die Unwahrheit gesagt wird und warum wir uns in der überwiegenden Zahl der Fälle im Wesentlichen auf das verlassen können, was uns jemand sagt. Ohne die Zuversicht, uns auf Aussagen verlassen zu können, wäre es ziemlich schwierig, ein Unternehmen zu führen.
Warum wir auch „milde Lügen“ in der Führungsarbeit vermeiden sollten
Die Konsequenzen aus dieser Überlegung für Ihre Führungsarbeit sind nicht zu unterschätzen. Wenn Sie Gefolgschaft wünschen, müssen Sie regelmäßig an dem Bild arbeiten, das andere von Ihnen haben. Und hier kommen auch wieder die „milden Lügen“ ins Spiel. Ihre Aussagen werden von allen Mitarbeitern auf die Goldwaage gelegt, auf die kleinste Unstimmigkeit überprüft. An dem Tag, an dem Sie vor Ihre Mitarbeiter treten, um ihnen eine Änderung anzukündigen oder sie für ein anspruchsvolles Projekt zu motivieren, werden sie alles, was sie von Ihnen als Mensch wissen, unbewusst in die Waagschale werfen. Und sie werden sich fragen, weiterhin unbewusst, ob das, was Sie sagen, „Sinn ergibt“. Natürlich wird diese Beurteilung nicht auf der Basis von Ratio erfolgen. Es wird die Summe der Eindrücke sein, die Sie als Mensch hinterlassen haben, die den Ausschlag gibt.
Wenn es Ihnen also wichtig ist, mühelos den Menschen Botschaften zu überbringen, die sie als sinnerfüllt empfinden, ist es wichtig, ständig an sich selbst als Menschen zu arbeiten, der bei anderen Vertrauen weckt. Sicher werden Sie jetzt denken: „Aber das tue ich doch. Ich bemühe mich immer, so ehrlich wie möglich zu sein.“ Höchstwahrscheinlich stimmt das auch. Doch ich beobachte sehr oft, wie die vielen Zwänge und die widersprüchlichen Ziele, die eine Führungskraft im Unternehmen erreichen muss, es sehr schwer machen, die unbestechliche Ehrlichkeit aufrecht zu erhalten, die wir für uns selbst in Anspruch nehmen.
Wir sind regelmäßig Versuchungen ausgesetzt, kleine Abkürzungen der Unehrlichkeit zu nehmen. Oft macht es einem das Leben leichter, wenn nicht alles gesagt wird, wenn nicht alles so dargestellt wird, wie es wirklich ist. Und dann kommt noch die oft geäußerte Annahme, die Welt „wolle doch betrogen werden“.
Oft höre ich folgenden Satz: „Wenn die (da oben) es wirklich so wollen, dann mache ich es halt.“ Tatsächlich wird „es“, was auch immer es ist, so gemacht, dass es nur scheitern kann. Das bedeutet, „es“ wird eben doch nicht gemacht, denn darauf läuft diese subtile Form der Sabotage hinaus. Auch wenn es zuerst nicht offensichtlich erscheinen mag, diese Art von passivem, destruktivem Gehorsam, ist bereits eine Form der Lüge.
Ich könnte hier sehr viele Beispiele anführen, die belegen, wie häufig uns kleine Lügen herausrutschen. Jede für sich genommen ist harmlos, die Summe korrumpiert jedoch schließlich unser Denken. Ist das also eine aussichtslose Situation, ein von vornherein aussichtsloser Kampf? Natürlich nicht, sonst wäre das Thema keinen Blog-Eintrag wert. Gleich vornweg, es wird nahezu unmöglich sein, ganz ohne diese kleinen Unwahrheiten auszukommen. Viele sind ausgesprochen, bevor wir überhaupt wissen, dass wir die Realität geschönt haben. In manchen Branchen nennt man so etwas eine „vertriebliche Wahrheit“. Tatsächlich sind wir permanent auf einer Selbstmarketing-Promotion-Tour. Da kommen schon die einen oder anderen geschönten Aussagen, das gehört zum Geschäft.
Es geht also nicht um einen Anspruch auf Vollkommenheit, sondern genau um das Gegenteil. Wir müssen uns als erstes unseren Mangel an Vollkommenheit eingestehen. Denn das Bedürfnis, uns in einem besseren Licht darzustellen, kommt von unserem Bedürfnis, als vollkommen zu gelten. Vermutlich steht Ihnen der Einwand jetzt schon ins Gesicht geschrieben: „Aber ich halte mich doch gar nicht für vollkommen, ich will gar nicht als vollkommen angesehen werden…“ Tja…, da ist sie schon, die kleine Unehrlichkeit. Ohne Zweifel ist der Begriff „vollkommen“ extrem. Aber wenn wir ganz ehrlich mit uns selbst sind (was gar nicht so leicht ist), müssen wir uns eingestehen, wie wichtig es uns ist, als weitgehend fehlerfrei gesehen zu werden. Sich selbst für vollkommen zu halten ist ein „Fehler“, daher leugnet praktisch jeder Mensch, der darauf angesprochen wird, sein tiefes Bedürfnis, als makellos (wieder eine Provokation) zu gelten. Doch diese Leugnung ist wiederum ein Problem, denn es ist gar nicht möglich, am Thema Ehrlichkeit zu arbeiten, wenn es nicht am Anfang eine belastbare Diagnose gibt. Und diese Diagnose lautet: Wir pflegen unser Image intensiv und zögern gleichzeitig nicht, uns durch kleine Anpassungen der Realität Vorteile zu verschaffen. Im Grunde weiß das auch jeder und da es so verbreitet ist, wird es auch akzeptiert.
Nun könnte man sagen, dann ist doch alles in Ordnung… Doch gerade hier können wir uns als Führungskraft unterscheiden. Das Ganze fängt damit an, sich ehrlich einzugestehen, wie es wirklich um unsere Ehrlichkeit bestellt ist. Wir haben die Chance, uns im Alltag zu beobachten und uns jedes Mal, wenn es passiert, unsere Gewohnheit der milden Lüge einzugestehen. Das kann in einer Besprechung passieren, wenn wir uns – in bester Absicht – vor unsere Abteilung stellen, der von einem Kollegen ein Fehler unterstellt wird. Oder wenn der Chef uns fragt, wie weit wir mit diesem wichtigen Projekt sind. Oder wenn eine Mitarbeiterin uns fragt, warum sie keine Gehaltserhöhung bekommen hat. Oder… Sie können hier beliebig viele weitere Beispiele einfügen.
Wenn wir lernen, diese Wahrheitsverdrehungen als solche zu erkennen und sie uns immer wieder einzugestehen, werden wir allmählich ein Stück Freiheit gewinnen. Die Freiheit, eine Entscheidung zu treffen, ob wir in diesem Augenblick die Dinge ansprechen, wie sie tatsächlich sind, oder ob wir „alternative Fakten“ verbreiten. Letzteres muss nicht immer falsch sein. Um diese Frage geht es hier gar nicht. Es geht um unsere Entscheidungsfreiheit. Zu dieser Entscheidungsfreiheit gehört auch die innere Klarheit darüber, warum ich gerade jetzt möglicherweise nicht die ganze, nackte Wahrheit sage. Ist es wirklich zum Besten aller Beteiligten? Habe ich wirklich keine andere Wahl? Oder ist es doch in erster Linie zu meinem eigenen Vorteil?
Als Führungskräfte sind wir mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert. Für uns gilt die Unfehlbarkeitsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Wir tun natürlich alles, um diesen gegenteiligen Beweis nicht zu liefern, denn dann würden wir sofort den Respekt und die Gefolgschaft unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren. Und das wollen wir nicht. Doch hier stellt sich die Frage, ob wir mit unseren Annahmen über die Erwartungen und Reaktionen unserer Mitarbeiter wirklich richtig liegen? Ist es wirklich eine gute Idee, sich so zu verhalten?
Sie haben es sicher meiner rhetorischen Frageformulierung schon entnommen: Tatsächlich ist es eher umgekehrt. Unsere Mitarbeiter sind von unserer Annahme, sie würden von uns Unfehlbarkeit erwarten, genervt und reagieren sensibel auf entsprechende Signale unsererseits. Zum Beispiel, wenn wir eine Antwort auf eine Frage geben, zu der wir im Grunde gar keine gute Antwort kennen. Oder indem wir jemandem unsere Hilfe anbieten („Das erwarten meine Mitarbeiter von mir.“), obwohl wir selbst schon aus dem letzten Loch pfeifen und mit Sicherheit keine gute Hilfe sein werden. Entspannte Ehrlichkeit hilft hier weiter. Diese Ehrlichkeit kann darauf verzichten, eine Fassade zu kultivieren, von der nur wir selbst denken, sie gehöre zur Rolle. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Natürlich haben Sie als Führungskraft eine Rolle zu spielen und es erfordert sehr viel Disziplin, diese Rolle im Alltag überzeugend auszufüllen. Doch gerade weil die Rolle selbst schon so fordernd ist, sollten wir sie nicht noch anspruchsvoller gestalten, indem wir uns in Halbwahrheiten und Imagepflege verstricken.
Zum Abschluss sei noch ein anderer, ehrlich gesagt noch unerfreulicherer Aspekt von Lügen und Unwahrheiten erwähnt. Es geht darum, was Lügen anrichten können. Wie es scheint, können sich nämlich geschickt platzierte Unwahrheiten (bewusste oder unbewusste) in den Köpfen der Empfänger ganz schön festsetzen, besonders, wenn diese Unwahrheiten zu den Überzeugungen der Zuhörer passen. Laut einem Artikel aus dem Magazin National Geographic[1] führen Versuche, falsche Tatsachen im Nachhinein aufzuklären, keineswegs dazu, dass die Betroffenen ihre Meinung ändern. Selbst das Vorweisen unumstößlicher Beweise bringt keine Abhilfe. Oftmals ist sogar das Gegenteil der Fall, die vorgezeigten Fakten verstärken die falsche Überzeugung noch mehr.
Diese merkwürdige Tatsache (ich gehe hier davon aus, dass die Information seriös und wissenschaftlich fundiert ist), hat für Sie als Führungskraft folgende Bedeutungen: Zum einem beweist sie einmal mehr, wie wichtig Gefühle sind und wie wenig Einfluss der Verstand, die Rationalität hat, wenn es um Fragen der Kommunikation geht. Halten Sie nie auch den größten Profi für einen Rationalisten, der sich von Emotionen nicht beeinflussen lässt. Achten Sie im Gegenteil sorgfältig darauf, Ihre Botschaft auf der Gefühlsebene richtig zu transportieren.
Zweitens sollten Sie, falls Ihnen Gerüchte und Halbwahrheiten zu Ohren kommen, die im Unternehmen verbreitet werden, nicht die Faktenschleuder auspacken und die Fehlgeleiteten mit einer Ladung an „Tatsachen“ erschlagen. Dieser Punkt hängt natürlich direkt mit dem vorherigen zusammen. Denn das „Gefühl“ eines Menschen kann mit nüchternen Fakten gar nichts anfangen. Das liegt wiederum daran, dass es für das Gefühl gar keine nüchternen Tatsachen gibt. Woher auch? In freier Wildbahn, woher die Vorfahren der meisten Menschen kommen (ausgeschlossen davon sind manche Führungskräfte mit technischem Hintergrund, denn die stammen von Vulkaniern ab und sind ausschließlich der Logik verpflichtet), hilft es nicht, nüchterne Tatsachen zu erblicken. Im Gegenteil, wir müssen alles bewerten und zwar ziemlich schnell. Wenn etwas schnell gehen muss, sind die Emotionen an der Reihe, nicht unser Verstand, mag er noch so messerscharf sein. Denn bis er die Situation umrissen hat, pult das Krokodil, das wir gerade übersehen haben, schon unsere Knochenreste aus den Zahnspalten.
Keine Sorge, sollten Ihre Mitarbeiter doch einmal eine Unwahrheit, zum Beispiel einen Flurfunk, geschluckt haben, müssen Sie dies nicht machtlos akzeptieren. Doch anstatt über das Thema selbst zu sprechen, versuchen Sie das Dahinterliegende anzusprechen. Sinngemäß könnten Sie herausfinden, was (wenn diese falsche „Tatsache“ stimmt) ist daran so wichtig? Welche Konsequenzen hat diese Unwahrheit? (Natürlich reden Sie nicht mit diesen Worten über das Thema.)
Zusammenfassung/Überblick:
- „Lüge“ ist das bewusste Ausdrücken einer Unwahrheit, mit dem Ziel, dem Lügenden einen Vorteil zu verschaffen.
- Kleine Lügen, das Ausschmücken der objektiven Realität, sind in der Praxis fast nicht zu vermeiden.
- Der Erfolg unserer Spezies baut auf unserer Fähigkeit zur Kooperation auf. Lügen zerstören Vertrauen. Ohne Vertrauen ist es schwer, gut zusammenzuarbeiten.
- Zusammenarbeit ist ein Sinngeber. Alles, was Zusammenarbeit erschwert, mindert auch das Gefühl von Sinn.
- Ehrlichkeit, die uns zu einer vertrauenserweckenden Persönlichkeit macht, ist im Unternehmenskontext, mit all seinen Zwängen, nicht leicht aufrechtzuerhalten.
- Es fällt uns als Führungskraft leichter, ehrlich zu sein, wenn wir den Unfehlbarkeitsanspruch aufgeben.
- Unwahrheiten können sich beim Zuhörer sehr stark festsetzen, wenn diese den eigenen Überzeugungen entsprechen. Fakten und Argumente helfen dann nicht. Es ist besser, über die Gründe zu sprechen, die dazu führen, dass die Unwahrheit weiter geglaubt wird.
[1] National Geographic, Juni 2017, „Warum wir lügen“ von Yudhijit Battharcharjee